Aus der deutsch-jüdischen Kulturgeschichte ist der literarische Salon nicht wegzudenken. Er entstand in jüdisch-bürgerlichen Häusern Berlins und Wiens Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines insgesamt aufstrebenden Bürgertums. Beflügelt durch die Aufklärung waren in der damaligen Zeit sowohl Frauen als auch das deutsche Judentum zunehmend um Gleichberechtigung bemüht. In diesem gesellschaftlichen Klima bildete der literarische Salon, unter dessen Gästen sich Vertreter verschiedener sozialer Schichten fanden, von Adeligen bis zu Kunstschaffenden, den Ausgangspunkt der Entwicklung eines intellektuell geprägten literarischen Gemeinwesens.
Der literarische Salon: Kulturschaffen deutsch-jüdischer Frauen

In diesem Artikel stelle ich zwei deutsch-jüdische Salonnièren der (früh-) romantischen Epoche vor – wobei die Bezeichnung ‚Salon‘ für die regelmäßigen Treffen erst in späterer Zeit rückblickend aufkam. Mein Fokus liegt dabei insbesondere auf folgenden miteinander zusammenhängenden Bereichen:
- ihrer literarischen und kulturellen Aktivität
- ihrer gesellschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Bedeutung
> allgemein in kultureller Hinsicht
> in sozialer Hinsicht für das Judentum ihrer Zeit
Die erste deutsch-jüdische Salonnière: Henriette Herz
Henriette Herz (geb. 1764 in Berlin als Henriette de Lemos, gest. 1847 ebd.) wurde früh (im Alter von 15 Jahren) mit Marcus Herz verheiratet. Im Haus dieses angesehenen Arztes, Philosophen und Schriftstellers fand regelmäßig gebildeter Austausch zwischen Personen verschiedener gesellschaftlicher Schichten statt. Da Henriette Herz bereits seit ihrer Jugend literarisch versiert war, begründete sie nun in ihrem eigenen Haushalt einen literarischen Salon – den ersten in Berlin.
Wie viele jüdische Frauen ihrer Generation löste sie sich zunehmend vom orthodoxen Judentum. Dennoch hielt sie lange an ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit fest. Allerdings blieben innerhalb der überwiegend christlich geprägten deutschen Gesellschaft Vorurteile gegenüber den jüdischen Mitmenschen weit verbreitet. Das hatte auch die Epoche der Aufklärung nicht ändern können, auch wenn durch sie grundsätzlich der Weg für Integration und Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung bereitet war.
Trotz dieser widrigen Bedingungen stieg Herz im kulturellen Berlin ihrer Zeit zu einer insgesamt hoch angesehenen Persönlichkeit auf. Menschen diverser gesellschaftlicher Positionen und religiöser Gesinnungen (auch renommierte Personen aus christlichen Kreisen) pflegten Kontakt zu ihr und besuchten regelmäßig ihren Salon. Damit setzten sie sich bewusst über allgemein verbreitete Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden hinweg. Doch schließlich wurde der Druck der antisemitischen Stimmung und des Ausbleibens der Gleichberechtigung zu groß: 1817 konvertierte Herz zum protestantischen Christentum.
Ab 1818 begann sie dann, ihre Lebenserinnerungen schriftlich festzuhalten. Dieses literarische Werk vollendete sie zwar nie. Dennoch bildet es gemeinsam mit ihrer Korrespondenz (von der sie jedoch einen großen Teil vernichtete) und ihren (im Origanl verschollenen) Tagebüchern ein anschauliches Zeugnis der Berliner Frühromantik. Durch ihren literarischen Salon sowie ihre umfangreiche Korrespondenz förderte Herz den jüdisch-christlichen Dialog. So steigerte sie zumindest zeitweise und innerhalb ihres Wirkungskreises das gesellschaftliche Ansehen der deutschen Judenheit. Und sie trug insgesamt zur Entfaltung der liberalen Geisteshaltung in Berlin bei, das u. a. durch ihren Einfluss zum geistigen Zentrum Preußens wurde.
Der literarische Salon der Rahel Varnhagen von Ense
Die mit Henriette Herz befreundete Rahel Varnhagen von Ense (geb. 1771 in Berlin, gest. 1833 ebd.) eröffnete ihren literarischen Salon schon als Rahel Levin (vor ihrer Heirat mit Karl August Varnhagen von Ense). Die Beliebtheit des Salons verschaffte ihr in den 1790er-Jahren eine gesellschaftlich etablierte Position. In dieser sprach sie ihre Gedanken stets offen aus und vertrat ihre Überzeugungen selbstbewusst.
Obwohl sie bereits 1814 formell zum protestantischen Christentum konvertierte, blieb Levin/Varnhagen von Ense innerlich ihr Leben lang jüdischen Glaubens. Der Religionsübertritt lag im Wesentlichen darin begründet, dass sie sich als Frau und Jüdin einer doppelten gesellschaftlichen Benachteiligung unterworfen gesehen hatte. Diese hatte unter anderem bewirkt, dass Levin eine ihrer Intelligenz angemessene schulische Bildung verwehrt geblieben war. Doch schon früh hatte sie gelernt, das auszugleichen: Sie bildete sich stattdessen durch Selbststudium, Korrespondenz, Reisen und Abendgesellschaften.
Auch im Salon Levin/Varnhagen von Ense verkehrten Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Allen stand es dort frei, die eigenen Ansichten und Gedanken zu vertreten. Die einzige unumstößliche Vorgabe der Dame des Hauses bestand in höflichem und respektvollem Umgang miteinander. Auf all ihre Gäste und deren Anliegen ging sie stets individuell ein, bemüht darum, eventuelle Streitigkeiten schon im Vorhinein zu verhindern.
Ihr schriftstellerisches Schaffen umfasst ihre Tagebücher sowie ihre beachtliche, teils poetisch anmutende Korrespondenz. Darin setzte sie sich stets entschieden für die Rechte von Frauen sowie Jüdinnen und Juden ein. Der literarische Salon Rahel Levins/Varnhagen von Enses ist innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung als Höhepunkt der Entwicklung klassischer literarischer Salons um 1800 anerkannt.
Der literarische Salon in seiner Bedeutung für das Judentum der Romantik und darüber hinaus
Henriette Herz und Rahel Varnhagen von Ense waren beide literarisch und kulturell aktiv. So ist von Varnhagen von Ense eine nennenswerte Korrespondenz erhalten, die Briefe von durchaus poetischer Qualität enthält. Und die Korrespondenz von Herz war wahrscheinlich mindestens ebenso umfangreich. Die wenigen erhaltenen Briefe stellen neben ihren unvollendeten Lebenserinnerungen ein lebendiges Zeugnis ihrer Epoche dar.
Mit ihren literarischen Salons schufen sich beide Frauen eine herausgehobene Position innerhalb der deutschen Kultur ihrer Zeit. Sie leisteten damit einen entscheidenden Beitrag zu Entstehen und Entwicklung der literarischen Salons und somit zur kulturellen Welt der deutschen (Früh-) Romantik. Im Zuge dessen traten sie für die Emanzipation von Frauen sowie der jüdischen Bevölkerung ein.
Was denkt ihr: Wäre der literarische Salon auch in heutiger Zeit ein funktionierendes Modell der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Literatur? Was könnte er in kultureller und auch sozialer Hinsicht heute bewirken? Teilt mir eure Gedanken dazu in den Kommentaren oder über Social Media mit – ich bin gespannt!
Eure Zeilenschreiberin Dr. Hanna Rasch
Quellen & Weiterführendes
- Arendt, Hannah: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. Erw. Neuausg. 2021.
- Deventer, Jörg: Herz, 1. In: Neues Lexikon des Judentums (1998), S. 344.
- Drewitz, Ingeborg, „Herz, Henriette“ in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 728–729 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118550152.html#ndbcontent.
- Gatter, Nikolaus, „Varnhagen von Ense, Rahel“ in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 718–720 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118626175.html#ndbcontent.
- Mandelartz-Kaußen, Helga: Salons. In: Neues Lexikon des Judentums (1998), S. 729.
- Mandelartz-Kaußen, Helga: Varnhagen von Ense. In: Neues Lexikon des Judentums (1998), S. 828.
- Rasch, Hanna: Henriette Herz in deutsch-jüdischer Perspektive. 2008.
- Schmitz, Rainer (Hrsg.): Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen. 1984.
- Wilhelmy, Petra: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780–1914). 1989.
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